2020-10a-Ethik

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Zusammenfassung und neue Aufträge (25.03.)

Leider waren Ihre Ausführungen zu den Arbeitsaufträgen nicht sonderlich ergiebig. Das lag aber auch an meinen schwammigen Formulierungen. Ich will versuchen, mich klarer auszudrücken. – Unsere Problemfrage lautet: Wie kann der Staat das Leben des Kindes gegen den Willen der Mutter schützen? (Rita Süßmuth) Der Staat muss immer das Leben schützen. Aber er darf das Selbstbestimmungsrecht der Frau, den Willen der Mutter nicht einfach negieren. Daher muss der Gesetzgeber das aufwachsende Lebensrecht des Kindes gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau im Augenblick der Schwangerschaft ethisch abwägen, bevor er den Schwangerschaftsabbruch allgemein verbindlich durch ein Gesetz regelt. Objektiv kann festgestellt werden, welche rechtlichen Pflichten den Eltern aufgebürdet werden, weil sie gesetzlich geregelt sind. Die sozialen Umstände einer ungewollt Schwangeren können nur in den wichtigsten Aspekten skizziert werden, da sie individuell verschieden sind und subjektiv je anders empfunden werden.

Die rechtlichen Pflichten der Eltern

Grundsätzlich haben Eltern für ihre Kinder eine Garantenstellung inne, weil sie sie ins Leben gerufen haben. Eltern sind für das Kindeswohl verantwortlich.

Eltern haben eine Obhutspflicht. Sie bieten ihren Kindern eine Zuhause, passen auf sie auf und kümmern sich um sie. Rechtlich schwierig sind Haftungsfragen, wann Eltern für den Schaden, den ihre Kinder Dritten zugefügt haben, aufkommen müssen.

Eltern haben eine Unterhaltspflicht. Sie stellen den Lebensbedarf des Kindes nach besten Kräften und unter Zurverfügungstellung entsprechender wirtschaftlicher Mittel sicher. Das gilt zunächst bis zum 18. Lebensjahr, im Falle von Ausbildung, z.B. Abitur und Studium, bis zum 25. Lebensjahr.

Eltern haben ein Sorgerecht. Das Sorgerecht besteht aus drei Teilen, der Personensorge, der Vermögenssorge und der gesetzlichen Vertretung. Die Personensorge garantiert, dass das Kind gewaltfrei und behütet aufwächst. Die Vermögenssorge umfasst die Vertretung der finanziellen Interessen. Die gesetzliche Vertretung betrifft Rechtsgeschäfte und Entscheidungen, wie z.B. die medizinische Versorgung.

Im Grunde ist die wechselseitige Bindung und Verpflichtung der Eltern und Kinder lebenslang und kann auch nicht gelöst werden, allenfalls missachtet. Natürlich bedeuten Kinder auch ein Stück Lebensglück und Lebenssinn, aber der Gesetzgeber muss sich im Klaren sein, welche Bürde er einer ungewollt schwangeren Frau zumutet, die das Kind nicht will, gesetzlich aber verpflichtet wird, es auszutragen. Auch im Hinblick auf das spätere Kindeswohl ist daher der Wille der Frau zu achten, insofern wir ein liberal-demokratisches Staatsverständnis und kein autoritär-bevormundendes haben.

Die soziale Lebenssituation der Frau im Augenblick der ungewollten Schwangerschaft

Reflektiert und skizziert werden hier nur soziale Gründe, die eine Frau bewegen könnten, die Schwangerschaft abzubrechen. Kriminologische und medizinische Gründe, die eigens geregelt sind, sind ethisch unstrittig.

Die Lebenspläne der schwangeren Frau sehen kein Kind vor. Manche Frauen stecken mitten in der Ausbildung, manche wollen erst noch im Beruf Tritt fassen oder Karriere machen, wieder andere haben mit der Familienplanung schon abgeschlossen. Gründe, warum ein Kind gerade nicht in den Lebensplan passt, gibt es viele.

Die Partnerschaft ist wenig günstig für ein Kind. Gelegentlich ist der Vater gar nicht bekannt. Der Partner will kein Kind und drängt zum Schwangerschaftsabbruch. Der Partner kommt für eine soziale Vaterschaft nicht in Frage oder verweigert sich dieser. Die Partnerschaft geht wegen der Schwangerschaft in die Brüche. Die Partnerschaft erscheint noch zu jung oder ist schon zu brüchig, um die Verantwortung für ein Kind zu tragen. – Partnerschaftsprobleme bei ungewollten Schwangerschaften dürften relativ häufig sein. Gerade sie sind aber von außen kaum zu beurteilen.

Das familiäre Umfeld ist wenig hilfreich. Ob und in welcher räumlichen Nähe Eltern, Geschwister oder andere Verwandte vorhanden sind, ist fraglich. Außerdem wollen längst nicht alle bei der Ernährung und Erziehung des Kindes helfen, sondern haben ihre eigenen Sorgen und Lebenspläne.

Das soziale Umfeld ist wenig zuverlässig. Die Anzahl der Freunde und Bekannten, denen man sein Kind zeitweise anvertrauen möchte, ist begrenzt. Die soziale Mobilität ist hoch, so dass manche zu gegebener Zeit aus dem Nahfeld verschwunden sind. Auch muss sich die grundsätzliche Bereitschaft zur Hilfe erst noch konkret bewähren, darauf verlassen kann man sich nicht.

Die soziale Lage ist wenig rosig. Wer in Ausbildung und Beruf Schwierigkeiten hat und wem das Geld hinten und vorne nicht reicht und wessen Wohnverhältnisse für ein Kind ungeeignet sind, möchte sich womöglich nicht noch ein Kind „aufhalsen“.

Lebenspläne, Partnerschaft, familiäres und soziales Umfeld sowie die soziale Lage sind individuell höchst unterschiedlich und werden von den ungewollt Schwangeren subjektiv unterschiedlich wahrgenommen. Daher kann objektiv nicht gesagt werden, wann für die betroffene Frau eine soziale Notlage vorliegt, die einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt. Der Staat müsste hierzu ja objektive Kriterien nennen, was aber unmöglich erscheint. Daher kann der Gesetzgeber die subjektiv empfundene soziale Notlage nur anerkennen oder ablehnen.

An dieser Stelle machen wir erst einmal einen Punkt: Die Pflicht der Eltern und die soziale Not der ungewollt schwangeren Frau haben wir in den Blick genommen. Damit sind die Grundlagen gegeben, die gesetzliche Regelung des §218 StGB zu verstehen. Ihre Aufgabe ist nun:

1. Wie ist der Schwangerschaftsabbruch im §218 StGB gesetzlich geregelt? (Information)
2. Überlegen Sie, welche Gründe den Gesetzgeber bewogen haben, die Regelungen so zu treffen, wie sie im Gesetzbuch stehen! (Reflexion)

Beide Aufgaben sollen Sie bis nächsten Dienstag, den 31.03.2020, erledigen und mir zumailen. Wenn Ihnen etwas unklar ist, rufen Sie mich einfach an.

Eintrag vom 31.03.2020

Die Regelungen des § 218 StGB für die soziale Indikation:

• Abtreibung ist Unrecht, damit verboten und strafbar.

Der Staat ist durch die Verfassung (Art. 1 GG) verpflichtet, Leben zu schützen. Der Staat tritt daher immer für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ein. Wer Leben tötet, begeht ein Unrecht und macht sich strafbar. Daher kann niemand rechtlich verpflichtet werden, bei einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Das gilt insbesondere für Ärzte wegen des Hippokratischen Eids. Der Staat achtet aber auch den Willen der ungewollt Schwangeren in besonderen Fällen, z.B. auch der sozialen Indikation.

• Die Schwangere verlangt den Abbruch.

Nur die Schwangere selbst hat das Recht, einen Schwangerschaftsabbruch zu verlangen. Der Wille muss klar und deutlich geäußert und dokumentiert werden. Der Staat überprüft die Ernsthaftigkeit dieser Willensäußerung.

• Die Schwangere muss sich von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten lassen und erhält dann einen Beratungsschein.

Die Beratung der Schwangeren ist nicht freiwillig, sondern gesetzlich vorgeschrieben. Es ist eine Pflichtberatung. Sie ist darum für die Schwangere kostenlos. Die Beratung ist nicht ergebnisoffen, sondern erfolgt zum Leben hin. Die Schwangere wird über die staatlichen Hilfsangebote für die junge Mutter informiert. Es geht um finanzielle Unterstützung, soziale Fürsorge und psychologische Beratung während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Die Schwangere erhält aber auch Gelegenheit, über ihre augenblickliche Lebenssituation mit einer erfahrenen und kompetenten Ansprechpartnerin zu reden. Um Wissen und Kompetenz zu sichern, muss die Beratungsstelle staatlich anerkannt sein. Der Staat leistet damit seinen Beitrag, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen. Die Schwangere wird aber nicht einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen oder einem moralischen Rechtfertigungsdruck unterworfen, sondern ist in gewisser Weise der Souverän des Verfahrens, denn die Beratungsstelle ist ihrerseits verpflichtet, einen Beratungsschein auszustellen. Der Staat maßt sich nicht an, die soziale Notlage einer Schwangeren zu beurteilen und über die Vergabe oder Verweigerung eines Beratungsscheines zu entscheiden. Das abschließende Ausstellen des Beratungsscheines gehört obligatorisch zur Beratung. Dieser Beratungsschein berechtigt die Schwangere dann zu einer straffreien Abtreibung. Zur Beratung gehört auch die Information, welche medizinischen Einrichtungen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Die Schwangere muss nicht als Bittstellerin bei den Kliniken anfragen, sondern erfährt, wo sie willkommen ist. – Da der Beratungsschein, der zur Abtreibung berechtigt, verpflichtet ausgestellt werden muss, hat dies die katholische Kirche bewogen, aus der staatlichen Schwangerenberatung auszusteigen. Für sie stellt der Beratungsschein eine Erlaubnis zum Töten von Leben dar und ist nicht mit dem katholischen Glauben vereinbar.

• Die Schwangere muss eine Bedenkfrist von drei Tagen einhalten, die zwischen der Beratung und der Abtreibung liegen müssen, solange keine lebensbedrohliche Situation vorliegt.

Der Schwangeren wird gesetzlich eine Mindestzeit vorgeschrieben, in der sie die Beratung gedanklich verarbeiten und eine endgültige Entscheidung treffen soll. Dieser Zwang zum Innehalten und Nachdenken ist wieder der staatliche Beitrag zum Schutz des ungeborenen Lebens. Der Staat bevormundet im Kern der Entscheidung die ungewollt Schwangere nicht, aber er mahnt und berät zum Leben und verzögert die endgültige Entscheidung, damit diese nicht überstürzt aus der Bedrängnis heraus gefällt wird, sondern verantwortungsbewusst, wohlinformiert und gut überlegt getroffen wird. Darin drückt sich dann auch unser freiheitlich-demokratisches Staatsverständnis aus, das die Bürger zu selbstständigen Entscheidungen anhält und befähigt.

• Die Befruchtung darf nicht länger als 12 Wochen her sein.

Die Frist zu bemessen, innerhalb derer ein Schwangerschaftsabbruch nach der sozialen Indikation gesetzlich straffrei bleibt, hängt von mehreren Erwägungen ab. Sie sollte so kurz wie möglich sein, da das ungeborene Leben sich ja zwischenzeitlich weiterentwickelt. Anderseits muss auch der ungewollt Schwangeren genügend Zeit eingeräumt werden. Die ungewollt Schwangere muss ihre eigene Schwangerschaft erst einmal selbst realisieren. Je nach Umständen geschieht dies in einem gewissen zeitlichen Abstand zur Befruchtung. Danach muss die betroffene Frau ihre persönliche Situation zumindest erst einmal so weit klären, dass sie sich entschließt, zur Beratung zu gehen. Diese muss dann terminiert und durchgeführt werden. Danach muss noch die Wartezeit eingehalten und ein Termin in der Klinik anberaumt werden. Bei alledem will der Gesetzgeber aber nicht, dass die ungewollt Schwangere gar nicht mehr zur Besinnung kommt, weil sie mit der termingerechten Umsetzung vollauf beschäftigt ist. Es soll ja auch noch Zeit zu Überlegung und Besinnung bleiben. Medizinisch wird nach einem Zeitpunkt gesucht, von dem an der Fötus sich qualitativ weiterentwickelt. Nach der 12. Schwangerschaftswoche sinkt das Risiko einer Fehlgeburt deutlich. Ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich auch die Funktionalität der Organe und das selbstständige Bewegen beginnt. 12 Wochen zwischen Befruchtung und Abtreibung sind für die Frau keine lange Zeitspanne. Je nach dem Zeitpunkt der Entdeckung der eigenen Schwangerschaft kann die Frist knapp werden, sollte aber in den meisten Fällen ausreichen, eine gut durchdachte Entscheidung treffen zu können. Für verspätet bemerkte Schwangerschaften kann der Staat nicht verantwortlich gemacht werden, er muss dann aus medizinischen Gründen das ungeborene Leben schützen. Bei entsprechender Sachaufklärung sollte auch eine ungewollt Schwangere dafür dann Verständnis aufbringen.