Zeitzeugen im Geographieunterricht?

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- Bericht über den Besuch von Frau Erika Rüdel im Geographiekurs der 12. Jahrgangsstufe -

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Normalerweise unterstützen Zeitzeugen den Unterricht in Geschichte. In diesem Schuljahr wagte der Geographiekurs das Experiment, Zeitzeugen auch im Fach Erdkunde in den Unterricht zu integrieren.

Nachdem das Thema "Migration" behandelt war, ein weltweiter Prozess und das seit Jahrtausenden(!), lag es nahe, jemanden in den Kurs einzuladen, der im Laufe seines Lebens diesen Prozess persönlich erlebt hat und darüber erzählen kann. Ausgehend von der Tatsache, dass räumliche und zeitliche Entwicklungen geographischer Strukturen historische Wurzeln besitzen und durch jüngere politische Entwicklungen geprägt sind, wurde ein Zeitzeuge im Vorgriff zum Thema "Deutschland im Wandel", Frau Erika Rüdel, in den Kurs eingeladen.

Frau Rüdel, die mit mehr als 80 Jahren in einer Gemeinde nahe Rothenburg lebt, wurde im Jahr 1930 in Koblenz geboren. Hier wuchs sie in einer Zeit auf, die durch den zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten geprägt war und musste auch daher auch den BDM besuchen. Sie musste während Ihrer Schulzeit miterleben, dass Mitschülerinnen, die jüdischen Glaubens waren, plötzlich nicht mehr zum Unterricht kamen.

Als im Jahr 1941 die Lage im Ruhrgebiet infolge der Luftangriffe der Alliierten auf Deutschland [1] immer heftiger wurden, gelangte sie mit Ihrer Familie nach Ottweiler, einen kleinen Ort südlich von Strassburg im Elsass. Sie berichtete in ihrem Vortrag, dass das Elsass seit der französischen Revolution im Jahr 1789 zum Territorialgebietgebiet Frankreichs gehörte und im „Frankfurter Frieden von 1871“, dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges, an das Deutsche Kaiserreich abgetreten wurde. Nun wurde Deutsch die Amtssprache. Seitdem erlebte das Elsass eine wechselvolle Geschichte der Staatenzugehörigkeit: erfahren hatte: Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde das Elsass als Folge des Friedensvertrages von Versailles an Frankreich abgetreten. Im Jahr 1940 besetzte die Wehrmacht das Elsass.

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Hier musste Frau Rüdel als Jugendliche nun miterleben, so erzählte sie, dass die vormals französischen Schüler wiederum Deutsch lernen und sogar deutsche Vornamen annehmen mussten. So wurde aus Jean einfach Hans und aus Yvonne wurde Helga. 1944 gelangte das Elsass unter allierten Einfluss, zunächst den der Amerikaner, dann wurde es unter französische Verwaltung gestellt. Nun mussten die Schüler wiederum nur französch sprechen bzw. überhaupt erst französisc:h sprechen lernen und auch
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französische Namen annehmen: aus Erika wurde Erica. Wie sie berichtete war diese Umstellung in der Sprache ein Schwerpunkt des Unterrichtes. Nach Ende des 2. Weltkrieges verblieb misslang ein erster Fluchtversuch zurück nach Deutschland. Erst 1949 gelangte sie mit Hilfe von Schweizer Verwandten über die Schweiz nach Deutschland. Das musste damals auch noch still und heimlich, also „schwarz“, geschehen. Wenige Jahre später lernte sie ihren Mann, den späteren Pfarrer ihrer jetzigen Heimatgemeinde Geslau kennen. .

Als Frau Rüdel, die den Schülern eine Kostprobe ihrer guten Französisch-Kenntnisse gab, die sie durch anekdotenreiche Begebenheiten übt, vor einigen Jahren Strassburg wieder besuchte, fragte sie auf Französisch einen älteren – auf einer Bank sitzenden Strassburger an der „Rue du 22 Novembre“, ob er die Bedeutung dieses Straßennamens kenne. Nach kurzem Überlegen antwortete rief dieser laut, es war ein Aufschrei, „Nie wieder Krieg!“ und entfernte sich eilends.

Anmerkung:„Vom 11. bis zum 22. November 1919 herrschte in Straßburg eine kommunistische Räterepublik; an deren Niederschlagung erinnert heute der Name einer der Hauptstraßen, die Rue du 22 novembre. Die Stadt wurde danach gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 wieder Frankreich zugesprochen.“ (Qelle: wikipedia). Der 22. November 1944 bedeutete für das Elsass aber auch die Befreiung durch die Amerikaner.

Nach Ihrem Vortrag ging Frau Rüdel noch auf die Fragen der interessierten und betroffenen Schülerinnen und Schüler ein. Den Abschluss bildete ein von ihr auf Französisch gesungenes Lied: Das alte Heimatlied der Normandie.


--Bernhard Heim 20:49, 24. Jan. 2013 (CET)

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